DER HOBBYGABUNESE

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Mein Jahr in Lambaréné

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Kapitel 2: Bunte Tierwelten

 
 

 

 

DER TAUSENDSASSA 

Seit gut zwei Wochen habe ich ein neues – und eigenes – Haustier. Ich dusche mit ihm jeden Morgen und jeden Abend. Meist ist er schon vor mir in der Dusche, einer Absenkung innerhalb meines Badezimmers. Da wartet er so vor sich hin, kriecht ein bisschen nach links, ein bisschen nach rechts, oder macht einfach gar nichts. Er, das ist ein Tausendfüßler, schwarz und – natürlich mit vielen Beinen. Sein Name – Achtung (!) - festhalten…: Milli-Vanilli. Wenn das Wasser mal etwas höher steht, kriecht er an den Rand, da ist er etwas sicherer, weil das kühle Nass da nicht so hoch steht. Wo er sich sonst so tagsüber aufhält ist mir ein Rätsel. Doch neulich kam er mir, kurz, nachdem ich die Dusche aufgedreht hatte, aus dem Abfluss entgegen. Hmm, da muss er aber aufpassen. Vielleicht wurde ihm sein Abflusszimmer dann aber zum Verhängnis: Ein paar Tage danach stehen 1000 Füße weniger unter der Brause. Ich habe gehofft, in hat es nicht im Schlaf erwischt und habe in jedem Winkel der Nasszelle gesucht. Wenn ich doch nur hätte besser Fährten lesen könnte. Fußabdrücke sollte es von ihm ja wohl genug geben. Vielleicht ist er ja aber auch nur seine Socken waschen gegangen – das kann bei ihm eine Weile dauern… 

Er ist dann aber doch immer mal wieder aufgetaucht. Und kurzzeitig kam er im Nachbarbad aus dem Überlaufschutz des Waschbeckens gekrochen. Wie er das wohl geschafft hat? Jetzt weilt er nicht mehr unter uns. Das hat mit unserer Flohplage zu tun. Aber dazu mehr weiter unten…

 

 

HASSAN, DER HASS-HAHN. ODER: COCKBUSTERS – DIE HÜHNERJÄGER VON ATONGOWANGA

Ein wesentlich unliebsamerer Zeitgenosse ist Hassan. Die Bekanntschaft mit seinem überaus lauten, durchdringenden Gekrächze durfte ich bereits in der ersten Nacht machen. Dieses Vieh geht mir einfach auf den Wecker. Ab 1 Uhr morgens geht es los. Und das Gekrähe, als hätte er eine Grete im Hals, hört erst gegen 6 Uhr morgens auf, wenn er zum Picken durch die Gegend rennt. Dann habe ich noch eine gute Stunde, um mich vom Hin-und Hergedrehe in der Nacht zu erholen. Nicht einmal Ohrenstöpsel helfen. Kein Wunder, dass Milli-Vanilli morgens auch noch ganz bedröppelt in der Dusche abhängt. Wobei: Ich weiß gar nicht, ob er Ohren hat. Wie dem auch sei. Irgendwann beschließe ich, dem ganzen ein Ende zu bereiten. Aber wie? Mit einem Sack fangen und am Hospital aussetzen? Ich habe auch von einem Pförtner von Bekannten gehört. Der Herr hat eine Spezialtechnik und kann mit einer Schlaufe an einem dünnen Drahtseil den Flattermann einfangen. Den könnte er dann braten und ich lasse mich zum Essen einladen. Das wären dann zwei Fliegen mit einer Klappe. Doch Hassan gehört wohl unserem Nachbarn, der ist - oder war – der Bürgermeister von Lambaréné. Dem kann man natürlich nicht so mirnichtsdirnichts die Hühner entführen. Deshalb habe ich eine weniger destruktive Strategie entwickelt, die noch nicht völlig zum Erfolg geführt, Hassans Zeitempfinden jedoch erheblich besser in Einklang mit meinem Schlafbedürfnis gebracht hat. Das Zauberwort heißt: Wasser.

Jeden Abend nun, also schon seit einer Woche – wird zum Angriff geblasen. Glücklicherweise hat mein Mitbewohner Frieder Hassans Schlaf- und Krähplatz ausfindig gemacht: oben auf einem kleinen Holzgestell direkt neben der Häuserwand, die an mein Zimmer grenzt. Der rosafarbene 10 Liter-Eimer wird aufgefüllt und wir schreiten zur Tat. Wir, das sind Raymund (er ist für die Dokumentation zuständig) und ich, also die Exekutive. Ein paar Tage später kann ich auch Frieder mit ins Team holen: für die Security. Sein Besen soll das Hähnchen im Notfall besänftigen, da Hassan zunehmend mutiger wird. Anfangs gibt es noch einige Enttäuschungen. Das Wasser trifft nicht ihn sondern schwappt knapp an ihm vorbei. Eimer wieder auffüllen und neuer Versuch. Ein Streifschuss. Hassan schüttelt sich ein wenig, quiekt etwas und wackelt mit dem Gefieder. Dann wird die Eimertechnik modifiziert: Und seitdem klappt alles auf Anhieb. Richtige Profis sind wir schon. „Bist Du bereit Raymund?“ – „Alles klar!“ – Frieder „OK!“ – „Achtung, ich zähle wieder bis drei und bei ´jetzt´ geht es los!“… Mit ordentlich Schwung fliegt dann die ganze Eimerladung in Hühnerrichtung. Auch wenn Hassan dann noch schützend die Flügel ausbreitet, hilft ihm alles nichts mehr. Es haut ihn einfach von den Stelzen, und anschließend nimmt er gackernd Reißaus. Seit dieser Prozedur fängt er erst um 6 Uhr morgens an zu krähen. Immerhin ein Erfolg. Ich denke aber, wir müssen kontinuierlich dran arbeiten. Vermutlich bringen ihn die nächtlichen Attacken um den Schlaf, und dadurch gerät sein Timer einfach etwas aus den Fugen. Wenn das irgendwann auch nichts mehr bringt, werde ich mal zum Bürgermeister persönlich gehen. Mal sehen, was er für Hassan haben möchte. Und dann: Hmm, ich habe schon ein leckeres Rezept im Kopf…

Unseren nächtlichen Wassersport ziehen wir rund 2 Wochen durch. Meine Mitbewohnerin Katharina steigt auch noch  dann auch noch voll ein, ist Feuer und Flamme für die Aktionen und fotografiert fleißig mit. Fast immer geht Hassans Gekrächze dann erst um 6 Uhr morgens los. Manchmal aber eben doch schon um 1 Uhr. An einen geruhsamen Schlaf ist dann einfach nicht zu denken. Am Ende einer großen Party bei uns in Atongowanga greifen wir zu radikaleren Mitteln. Hassan wird in eine Plastiktüte gestopft, und im Auto wird es bei ohrenbetäubendem Hühnergekreische in Richtung Albert-Schweitzer Hospital am Ende einer langen Brücke ausgesetzt. Mit uns dabei ist auch Maman Martine, die Putzfrau eines Freundes, die auch zur Party eingeladen war und am nächsten Morgen beim Aufräumen mithelfen soll. Als der Hahn in seine neue Heimat entlassen wird, steigt Maman Martin aus dem Auto und greift sich das Hähnchen. „Für meine Hühnerzucht. Damit kann ich dann mehr Eier produzieren.“ Nun gut, sie hat sich den Hahn halt in freier Wildbahn gekrallt, während wir ihn kurz zuvor dem Bürgermeister von Lambarene entwendet, ihn gekidnapped und ausgesetzt haben. 

 

Eigentlich ein tolles Ende: Wir sind den Hahn los, Maman Martine kann ihren Hühnerbestand vergrößern, und Hassan bekommt weiterhin zu fressen und hat eine Schar Hühner um sich herum. Letzteres hat er hier in Atongowanga nie gehabt. Mit seiner einzelnen Schwanzfeder war er eher eine Art Outsider. Am nächsten Tag kommt Maman Martine zu uns zum Putzen. Mit reichlich Verspätung. Wieso – das wird kurz darauf klar. „Und? Lebt der Hahn noch?“ fragen wir sie. „Nein, den gab es heute zum Mittag“…

Naja, verdient hat er´s. Und jetzt ist endlich Ruhe im Karton…

 

FLOHZIRKUS

Ich stehe neulich bei uns im Garten und telefoniere kurz. Dann gehe ich wieder ins Haus und sehe, wie auf meinen Füßen und an meiner Hose allerlei kleine Tierchen herumspringen. Flöhe. So 20, 30 Stück. Schnell unter die Dusche. Mit allen Klamotten. Die lege ich danach in eine Schüssel mit ordentlich Chlorwasser ein – und gebe noch nen weiteren Schuss Chlor – also so was wie Domestos – oben drauf. Viel hilft ja viel. Schön einweichen über den Tag. Am Abend ziehe ich die Sachen aus dem Wasser. Der Extraschuss Chlorbleiche hatte sich wohl nicht so gut verteilt. Das merke, als ich die Ätzblase sehe, die sofort entsteht, als ich das Wasser berühre. Außerdem renne ich nun in einer Batik-Outdoorhose durch die Gegend. Der Rest hat sein Antlitz auch etwas verändert. Die Unterbuchse ist nun in einem frischen rostbraun-grün gehalten. Das nenne ich mal eine chemische Reaktion. Die Flöhe hat es natürlich auch erwischt, aber das sollte es ja auch. Am Abend wird bei uns eine Abschiedsparty mit massig Leuten gefeiert. Es tanzen aber offensichtlich nicht nur die geladenen Gäste. Mit uns hüpfen wohl auch einige Flöhe um die Wette, die von draußen reingetragen werden und sich bei uns sehr wohl fühlen. Am nächsten Morgen stürzen sie sich sofort auf mich. Interessanterweise mögen sie mich am Liebsten. Meinen Mitbewohner Frieder finden sie auch nicht schlecht, aber Raymunds und Katharinas Blut können sie rein gar nichts abgewinnen. Im Labor im Albert-Schweitzer kratzen sich nun auch einige Leute. Es heißt, wir hätten jetzt auch unsere Forschungseinrichtung und die angeschlossenen Wohnhäuser unserer Kollegen kontaminiert – mit den Atongowanga Flöhen. Gesehen wurde dort jedoch keiner, nur deren rote Bisse. Aber die stammten ja wohl noch von der Party.

Unser Haus haben wir jetzt dekontaminiert. Sofa raus, mit ordentlich Chlorwasser überschwemmt und gewischt – und: Rambo! Das Spray wird in Nigeria produziert und enthält eine ungesunde 3fach Kombination von in Deutschland wahrscheinlich nicht zugelassenen tödlichen Substanzen. Tödlich für alles was kreucht und fleucht. Mit der chemischen Keule mit Langzeitwirkung haben wir den kompletten Fliesenboden des Hauses eingenebelt und sind dann schnell raus. Die Flöhe im Haus sind wir jetzt wohl los - aber draußen im Garten sind sie noch – ich denke mal zu tausenden. Da können wir uns erstmal nicht hineinbewegen. Milli-Vanilli hat den Angriff leider nicht so gut überlebt. Er ist jetzt zwar in Sicherheit, aber das wird wohl nix mehr mit ihm. 

Wieso die Flöhe mit einem mal hier sind, und dazu noch in solch einer Zahl, weiß keiner. Ich habe etwas recherchiert: Es gibt 2.500 Floharten. Und viele sind nicht sehr wirtsspezifisch. Sie pieksen also alles, was ihnen in die Quere kommt, wenn ihre Lieblingsmahlzeit nicht in der Nähe ist. Menschenfloh, Hundefloh, Hühnerfloh. Hühnerfloh? Aha, vielleicht sind sie das grausame Vermächtnis von Hassan. Aber wieso sie dann gleich in diesen Massen auftreten? Auf jeden Fall vermehren sie sich sehr schnell. Ein Weibchen legt bis zu 3000 Eier (oder waren es 30.000?). Und wenn es schön warm ist, schlüpft der Floh mit einem Windzug als Signal nach 2 Tagen aus seinem Ei und ist Sekunden später bereit. Das geht also ratzfatz. Eine andere Theorie ist, dass sie von unserem Stachelschwein abgesprungen sind, was neulich hinter unserem Haus für ein großes Essen geschlachtet wurde…

 

DAS GROßE STACHELSCHWEINESSEN

Kürzlich hat mein Mitwohni Katharina zum großen Stachelschwein-Essen geladen. Sie ist in einem Taxi „sur la route“ auf Jagd gegangen - also immer die Straße entlang fahren, raus aus Lambaréné, und Ausschau halten nach einem Stachelschwein. Das würde dann komplett - aber verkaufsfertig und mit ausgehauchtem Leben - am Straßenrand an einem großen Stock festgebunden zum Verkauf bereit hängen. Die Jagd war nicht sehr erfolgreich. Doch am nächsten Morgen ruft der Taxifahrer durch. Er hat eins. Kann er gleich vorbeibringen. Wenig später ist er da. Eine Gazelle – die sind hier nicht sehr groß – liegt auch im Kofferraum. Können wir auch haben. Wollen wir aber nicht. Es soll ja Stachelschwein geben. Und ein Exemplar liegt ja auch schon bereits seit 1,5 Wochen im Gefrierfach unseres Kühlschranks. Deshalb soll ja jetzt ein weiteres stacheliges Schweinchen her, damit genug da ist für all die geladenen Gäste.

Da liegt es nun, auf unserem Wohnzimmerboden. Eigentlich ist es kein richtiges Stachelschwein glaube ich. Es sieht eher aus wie eine Riesenratte.  Vor wenigen Stunden erst ist es in die Falle getappt und getötet worden. Marcel, der Cousin von Katharinas Freund, kennt sich aus. Er weiß, wie man so ein Tier herrichtet. Einlegen in heißes Wasser, damit die Stacheln sich leichter mit dem scharfen Messer vom Tier ablösen lassen. Bauch auf und ausnehmen und dann die letzten Stachelreste über dem Feuer wegbrutzeln und noch ein wenig weiter anrösten. Marcel teilt alles in handliche Stücke, bevor das Fleisch später am Abend gekocht wird. Schnell noch ein kleines Spießchen gebraten, mit Öl und Salz angerichtet, als kleiner Snack nach getaner Arbeit.

Die beiden Stachelschweine werden in zwei verschiedenen Saucen zubereitet: Palmfrucht und Odiko. Letzteres wird auch als Sauce au Chocolate bezeichnet, hat mit Schoko aber nicht viel zu tun. Dafür werden kleine hölzerne Schnipsel mitgekocht, die den Schuppen von Tannenzapfen ähneln und dem Gericht einen stark rauchigen Geschmack geben. Am Abend gibt es dazu gestampften Bananenbrei und fermentierten Maniok, während draußen ein riesen Unwetter wütet und unser Wohnzimmer allmählich unter Wasser setzt. Beim Essen steht der Fernseher aus dem Laborgebäude auf unserem Wohnzimmertisch, und auf dem Bildschirm flimmert das Endspiel des Afrika-Fußball-Cups 2008. Ägypten- Kamerun. Eins zu null.

 

ZUM ABSCHLUSS...

 …gibt es noch ein paar Bilder von einer Riesenmotte, die ich kürzlich bei einem Besuch einer Außenstelle unseres Labors in Fougamou (2 Stunden von hier) angetroffen habe sowie einem Schuppentier, das irgendjemand hier neulich vorbeigebracht hat. Und der Pelikan wohnt auf dem Gelände des Hospitals, direkt neben dem Albert-Schweitzer Museum. Er lebt hier als Nachfolger des einstigen Pelikans Parzifal, dem Vogel von Albert Schweitzer. Parzifal war für den Grand Docteur eine Art Haustier und er hatte ihn sehr lieb gewonnen. Wenn ich die Story richtig verstanden habe, hat er dem Vogel später den Hals umgedreht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis bald, liebe Leute. Bleibt gesund und passt auf Euch auf!

Euer Torte